Stiegl-Gut Wildshut – Willkommen im Kreislauf des Lebens

Die Jury des Nachhaltig-Wirten-Preises, den der Wirtshausführer zusammen mit METRO-Österreich im Jahr 2024 zum ersten Mal vergeben hat, war sich über die Einreichung des Stiegl-Guts Wildshut rasch einig: Besser kann man es nicht machen. Darum wurde der Betrieb einstimmig zum Sieger des Wettbewerbes in der Kategorie „Bester Landgasthof“ gekürt. Das Stiegl-Gut Wildshut ist die Wirklichkeit gewordene Vision der Stiegl-Eigentümerfamilie Heinrich Dieter und Alessandra Kiener von nachhaltiger Kreislaufwirtschaft, Genuss und Lebensfreude. Seit dem Jahr 1994 ist der Betrieb als Bio-Landwirtschaft zertifiziert, vor zehn Jahren wurde das Gut für Gäste geöffnet und seither Schritt für Schritt behutsam weiterentwickelt. Heute wird hier inmitten von Bienenvölkern, Hopfenstangen und Kräuterwiesen nicht nur fantastisches Bier gebraut, sondern auch auf Top-Niveau gekocht. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit bin ich mit dem Zug von Wien angereist, bei der eigenen Lokalbahnhaltestelle Gut Wildshut ausgestiegen – und habe mich mit Herbert Stranzinger, dem Leiter des Guts, zum Interview, Essen und Trinken getroffen.

Interview: Klaus Egle | Fotos: Wildbild / Herbert Rohrer, Klaus Egle

Dieses Interview ist Teil einer Serie zum Thema „Wirtshausführer Nachhaltig Wirten“. Es ist eine Kooperation von Wirtshausführer und METRO Österreich, das die Nachhaltigkeit als vorrangiges Unternehmensziel festgeschrieben hat. Gemeinsam stellen wir Wirte vor, die in vorbildlicher Weise Nachhaltigkeit täglich leben, in einer Branche, die mehr als andere im Blickfeld der Öffentlichkeit steht. So machen wir ihre nachhaltigen Initiativen sichtbar und nachvollziehbar.

Klaus Egle: Das Stiegl-Gut Wildshut steht seit 2015 offen für Gäste. Das Thema Nachhaltigkeit zieht sich seither wie ein roter Faden durch das gesamte Konzept. Wie hat alles begonnen?

Herbert Stranzinger: Das Gut war schon vor über 100 Jahren im Besitz von Familie Kiener – mit Gastwirtschaft und kleiner Brauerei. 2012 wurde es von Dr. Kiener und seiner Frau wiederbelebt – mit dem klaren Anspruch, eine ökologisch nachhaltige Lebensweise, also ihre „Vision vom guten Leben“, umzusetzen. Ihre Haltung dazu kann man übrigens auch in Dr. Kieners Buch „Auf ein Bier mit John Maynard Keynes“ nachlesen. Wir denken bewusst und konsequent in Kreisläufen – und machen das hier erlebbar. Am Stiegl-Gut Wildshut geht es darum, Lebensmittel und Getränke in bester Bio-Qualität zu erzeugen – als Mittel zum Leben.

Dabei nehmen wir alle Prozesse selbst in die Hand: Vom Erhalt der Bodengesundheit und Biodiversität über den Anbau in Vergessenheit geratener Urgetreidesorten, die eigene Wasserquelle, die hauseigene Mälzerei samt Rösterei bis hin zum Brauen und Kochen. Unser „Purpose“, also unsere innere Ausrichtung, steht im Zentrum des Restaurants an der Wand:

„Wir lieben das Leben und bringen Menschen zusammen. Unser gemeinsames Bestreben ist es, intakte Ökosysteme und gesunde Böden für verantwortungsvollen Genuss und Lebensfreude zu gestalten. Wir sind Impulsgeber:innen für ein neues Bewusstsein und inspirieren zu einem regenerativen Wirtschaften in Kreisläufen.“ Mit diesen drei Sätzen ist das große Spektrum hier am Stiegl-Gut Wildshut und unsere Aufgabe zusammengefasst. Und das leben wir!

„Wir lieben das Leben, bringen Menschen zusammen.“

Klaus Egle: Ihr Nachhaltigkeitsansatz am Stiegl-Gut Wildshut reicht tief in die Kreislaufwirtschaft hinein. Woher kommt das Know-how?

Stranzinger: Bier ist eines der ehrlichsten Naturprodukte: Seine Qualität beginnt beim Boden. Unsere Eigentümerfamilie Kiener beschäftigt sich seit Jahren mit regenerativer Landwirtschaft, gleichzeitig haben wir ein starkes Team mit Expertise in Agrarökologie, Brauhandwerk und Nachhaltigkeit.

Wichtig ist auch unser Austausch mit Bildungseinrichtungen und Expert:innen aus verschiedensten Disziplinen. Gemeinsam entwickeln wir Konzepte, um Ressourcen möglichst lange im Kreislauf zu halten, sie mehrfach zu nutzen oder wiederzuverwerten. Weniger Emissionen, weniger Abfall, mehr Biodiversität – das ist für uns der Kern einer neuen Lebenskultur.

Klaus Egle: Nachhaltig wirtschaften klingt gut – ist das auch ein funktionierendes Geschäftsmodell?

Wer viel Geld erwirtschaftet, handelt nicht automatisch im Sinne von Menschen und Umwelt. Aber natürlich müssen wir auch wirtschaften, dann neues und nachhaltiges Wirtschaften bedeutet trotzdem, dass wir auch finanziell erfolgreich sein wollen. Unser Konzept ist allerdings sehr weit nach vorne gedacht. Es ist ein langfristiges Konzept und wir glauben an seinen Erfolg – auch, weil wir überzeugt davon sind, dass die Art und Weise wie wir es machen, Strahlkraft hat. Unsere Herangehensweise inspiriert und befruchtet.

„Wir denken in Zeiträumen, nicht in Quartalen.“

Klaus Egle: Aber man muss sich das auch leisten können…

Herbert Stranzinger: Natürlich, dafür muss man in längeren Zeiträumen denken. Wissen Sie, was eine Brauerei und eine Kirche gemeinsam haben?

Klaus Egle: Da bin ich aber jetzt gespannnt.

Herbert Stranzinger: Man erkennt beide an der Qualität der Dächer. Da wird immer das Beste verwendet, die beste Deckung, die besten Kupfer-Dachrinnen, der beste Dachstuhl – weil in beiden Fällen sehr weit in die Zukunft gedacht wird. Das hat mich als Manager auch beeindruckt, als ich hierherkam. Ich hatte immer Verträge für fünf Jahre aber der Dr. Kiener denkt in Zeiträumen von 50 Jahren und mehr. 

Klaus Egle: Seit dem Jahr 2012 betreiben Sie im Stiegl-Gut Wildshut eine eigene Mälzerei – kombiniert mit einer Rösterei – die in Österreich einzigartig ist. Was sind die Vorteile?

Stranzinger: Unsere Mälzerei erlaubt uns, Getreide exakt so zu verarbeiten, wie es für den jeweiligen Biertyp ideal ist. Das garantiert Frische, Qualität und Eigenständigkeit. Gleichzeitig bleibt der gesamte Wertschöpfungsprozess bei uns im Haus: vom Boden über den Anbau alter Getreidesorten (Urgetreide) bis zur Verarbeitung.

Durch kurze Wege, volle Transparenz und regionale Rohstoffe schaffen wir Malze mit Charakter – handwerklich, nachhaltig, innovativ. Wir arbeiten auch hier mit ganz viel Wissen, Sorgfalt und Leidenschaft.

Klaus Egle: Wer kommt hierher – und warum?

Stranzinger (schmunzelt): Von kulinarischen Feinspitzen bis zu weltoffenen Denker:innen… Das Stiegl-Gut Wildshut ist de facto Österreichs erstes Biergut und als solches eben nicht nur einzigartig, sondern auch ein Muster-Biergut, wo wir höchste ökologische und qualitative Ansprüche an uns selbst stellen und dies auch transparent zeigen. Wir stehen für Kreislaufwirtschaft, für Vielfalt, für Experimentierfreude und Genussmomente. Das zieht unterschiedliche Personen an. Viele wollen diesen außergewöhnlichen Kraftplatz erleben, die Zeit hier genießen und sich zentrieren. Aber die Gäste kommen natürlich auch, weil sie gehört haben, dass wir hier wunderbare Bio-Bierspezialitäten und eine großartige Küche haben. 

Ich selbst denke mir jeden Tag: Wow, was für ein großartiger Arbeitsplatz! Und ich spüre die spezielle Energie. Wir bieten das optimale Umfeld für Seminare und Tagungen. Wer Neues schaffen will, braucht Denk- und Freiräume und genau die findet man am Stiegl-Gut Wildshut.

Klaus Egle: Das Stieglgut Wildshut ist auch das Kreativitäts- und Innovationszentrum der Stiegl-Brauerei. Wie kann man sich das vorstellen?

Stranzinger: Hier dürfen wir experimentieren – ohne Druck. Wir entwickeln Spezialbiere, probieren alte Techniken aus, machen Fehler und lernen daraus. Unsere Projekte beginnen nicht beim Produkt, sondern beim Boden. Wie schaffen wir es, dass wir dem Boden mehr zurückgeben, als wir herausnehmen? Welche Fruchtfolge ist ideal? Welche Urgetreide sind robust und aromatisch? Denn wir bauen Getreidesorten an, die eigentlich schon ausgestorben wären, wenn wir sie nicht erhalten würden. Diese Produkte verarbeiten wir in unserer Mälzerei, in der Brauerei oder in der Küche – und zwar möglichst alles davon. Die Brauerei in Salzburg – Stiegl ist Österreichs führende Privatbrauerei – hat einen anderen Fokus. Wir hingegen sind der kreative Vorreiter.

Klaus Egle: Mit den Wildshut-Werkstätten – von der Bier- und Genusswerkstatt über die Brotwerkstatt bis zur Achtsamkeitswerkstatt – machen Sie das Geschehen hier erlebbar. Was nehmen die Teilnehmer da für sich mit?

Stranzinger: Alles, was wir tun, ist erfahrbar. Nehmen wir zum Beispiel das Brot, bei dem wir auch vom Feld bis zum Holzbackofen alles selbst machen. Da zeigen wir, dass man mit Zeit und Ruhe den Glutenanteil deutlich verringert, was das Brot wesentlich bekömmlicher macht, und dass es noch dazu viel besser schmeckt. Auch hier geht es Bewusstsein und um Zeit. In der Achtsamkeitswerkstatt geht es um sinnliches Erleben – riechen, schmecken, atmen. Das dient einem neuen Lebensgefühl. Schließlich noch die Bierwerkstätten, bei denen man alles rund um die Herstellung und den Genuss des Bieres lernt – das ist aufgrund der Vielfalt, die wir hier haben, eine regelrechte Entdeckungsreise. 

Wir bieten hier den idealen Ort und perfekte Räume für Seminare und Kreativarbeit – denn wer Ideen entwickeln will, braucht Freiräume.

Klaus Egle: Was ist in diesem Bereich noch geplant? 

Zukünftig wollen wir am neu geschaffenen Wildshut Campus Menschen aus aller Welt verbinden, weil wir ein Platz für Austausch, Kreativität und neues Denken sind. Wir werden weitere Seminare und Workshops anbieten – unter anderem einen eigenen Master im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement. Das Stiegl-Gut Wildshut soll ein Ort des ganzheitlichen Lernens sein.

Klaus Egle: Auch die Küche ist außergewöhnlich. Wie passt sie ins Gesamtkonzept?

Stranzinger: Sie ist essbarer Ausdruck unserer Philosophie. Wenn man so wie wir hier konsequent und regional „nose-to-tail“ und „leaf-to-root“ kocht, ergibt sich auf der Speisekarte eine spannende Abwechslung, weil dabei ja alles verwertet wird. Unser Konzept ist es, die Dinge einfach zu machen, sie dabei aber großartig schmecken zu lassen. Ein Beispiel? Unser Tomaten-Tatar aus sonnengereiften, getrockneten Tomaten. Das schmeckt so wunderbar, dass man wirklich gar kein Fleisch mehr braucht. In Wildshut gibt es nicht das eine Gericht – wir leben die Wildshuter Vielfalt.

Wir glauben an unseren Weg in Wildshut und gehen mutig in die Zukunft. 

Klaus Egle: In jüngster Zeit gibt es – auch aufgrund von Finanznöten – national und international viel Gegenwind für alles, was „grün“ oder „nachhaltig“ ist. Spüren Sie den auch und wenn ja, wie äußert sich das?

Stranzinger: Gerade in turbulenten Zeiten braucht es Orte wie Wildshut. Unsere Stärke ist: Wir sind familiengeführt, unabhängig, entschlossen. Wenn unsere Eigentümerfamilie sagt: „Wir bleiben auf unserem Weg“, dann ist das mehr als ein Statement – es ist Haltung. Und die leben wir.