Der Wiener Nussberg ist ein mystischer Platz. Ausgestattet mit dem hervorragendsten Rundblick über die Stadt und gesegnet mit den besten Böden und Lagen für den Weinbau. Ein Sonntagsausflug auf den prominentesten Weinberg der Hauptstadt bedeutet Genuss für alle Sinne.
Text & Fotos: Klaus Egle
Wenn ich auf den Wiener Nussberg gehe und genug Zeit habe, also immer, weil wenn ich keine Zeit habe, gehe ich nicht auf den Nussberg, dann beginnt meine Expedition im D-Wagen. Der war schon immer meine Verbindung nach Nussdorf, früher, als es dort noch ein Dutzend Heurige gab, von denen heute nur noch zwei, drei übrig geblieben sind. Da bot er uns Nicht-Autobesitzern die wunderbare Möglichkeit, quer durch die Stadt zu fahren, dann gleich bei der Endstelle von der Straßenbahn in die Heurigen vom Kierlinger, Schübel-Auer oder Steinschaden einzufallen – und diese Weihestätten des unkomplizierten Genusses erst fünf Minuten vor der Abfahrt der letzten „Bim“ wieder zu verlassen.
Heute aber will ich höher hinauf, das Wandern soll sich mit dem Sitzen zumindest einigermaßen die Waage halten. Also die Nussberggasse entlang, weiter über den Dennweg zur Kahlenberger Straße, vorbei an einem bunten Gemisch von architektonischen Scheußlichkeiten. Da und dort immerhin durchmischt mit ein paar schönen Häusern, die man sich vorstellen könnte, wenn man einmal reich wär‘. Dann irgendwo rechts abgebogen in die Weingärten hinein und hinauf, wo das Auge nur noch wohltuendes Grün sieht. Das ist zugegebenermaßen eine gewisse Invasion, überhaupt jetzt im Herbst zur Weinlesezeit, wo es den Städter hinaustreibt aus den Gassen in denen die Schatten immer länger werden, dahin, wo er auch noch sein Zipfelchen Natur erhascht. Der Weingarten ist aber nicht nur ein Lebensraum für Pflanzen und Tiere sondern auch die Freiluftwerkstatt des Winzers. Sehr nett, dass der uns hier überhaupt durchgehen lässt, also sollte man sich auch halbwegs pfleglich benehmen, bitteschön.
Durch die Werkstatt der Winzer
Ein paar Trauben muss ich trotzdem naschen. Prall und süß und gut sind sie und vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie es weitergeht. Sturm, Weintaufen, rote Wangen, fröhliches Lachen, Ganslessen, gemütliches Beisammensein. Der Wein erfreue des Menschen Herz… das wird er auch. Vor mit tut sich das Panorama der Stadt Wien auf und einmal mehr wird mir bewusst, was für etwas Besonderes der Weinbau in dieser Stadt ist und wie notwendig es ist, ihn zu schützen und zu bewahren. Und wenn schon sonst durch nix, dann wenigstens, indem man den Wiener Winzern als Konsument zur Seite steht. Ein paar spektakuläre Ausblicke später bin ich auch schon oben und konstatiere, dass nicht alles immer nur schlechter wird. Denn während man früher hier oben verdurstet ist, wenn der Sirbu nicht gerade ausg’steckt hatte. haben heute die Weingüter Wieninger, Mayer am Pfarrplatz und Wailand in äußerst einladender Weise ihre Heurigenbänke, Liegen und Lounge-Chairs aufgestellt. So tragen sie der Tatsache Rechnung, dass der Wein immer noch dort am besten schmeckt, wo die Trauben gewachsen sind.
Mit Fritz Wieninger, der vorbeikommt, weil er einen Termin mit einem russischen Fernsehteam hat, tratsche ich ein bisschen über den Jahrgang, die Lese, die Arbeitskräfte-Situation, Gott und die Welt. Während uns Fritz senior, der den „Wieninger am Nussberg“ gemeinsam mit Fritz‘ unermüdlicher Mutter Barbara schupft, aus seinem persönlichen Geheimfach einen Chardonnay Grand Select 2003 zum Verkosten bringt. Der Sonntag nimmt Fahrt auf. Weiter oben beim Wailand ist das Publikum ganz besonders chic. Toute Vienne scheint sich heute hier auf diesem Berg ein Stelldichein zu geben. Beim Mayer dagegen treffe ich auch viele Jungfamilien, hier haben die Kinder jede Menge Platz und können nicht verloren gehen. Ein Wanderer-Paar, das einkehrt, holt sich zwei Gläser Wiener Gemischter Satz, stellt sich zu einem der Barriquefässer und er sagt zu ihr: „Wunderbar ist es hier!“ Stimmt und drum beschließe ich, in Ruhe eine Zigarre zu rauchen, wo kann man das heute noch?
Kalte Hand trifft warme Hand
Als ich gehe, steht die Sonne schon tief am Himmel. Kühl ist es geworden und zwei junge Damen, die ein bissl spät dran sind, finden, dass man doch ein paar Heizschwammerl aufstellen sollte. Beim Abstieg treffe ich noch die Kim, die kocht, kalte Hand trifft warme Hand, die runtergehen sind beschwingt, die rauf gehen in Vorfreude, was für ein Zauberberg! Vorbei am urigen Terrassenlokal des „Vereins der Förderung des historischen Weinbaues in Österreich“ geht es durch die Eichelhofstraße quasi im freien Fall wieder hinunter nach Nussdorf. Da wartet schon der D-Wagen um die müden Wanderer wieder aufzunehmen. Vis-a-vis sitzt ein junger Vater, der mit den zwei kleinen Kindern einen Ausflug gemacht hat, damit die Mama daheim ein paar freie Stunden hat und verkündet: Heute Abend gibt es Nudeln! Ein Aufschrei der Begeisterung. Schön ist das.